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Osterhasens Reise im Nikolaus-Sack

in Weihnachtsmärchen und Weihnachtsgeschichten 04.11.2012 15:15
von Weihnachtsengel • Besucher | 172 Beiträge

Osterhasens Reise im Nikolaus-Sack[/size]
Marin Wolf


[size=150]Laut Kalender war es Spätherbst, der erste Advent gerade vorbei. Überall in Deutschland und Österreich hatte sich die Erde unter dem Frost steinhart zusammengeballt. Die Pfützen waren mit klirrenden Scheiben überzogen und vom Himmel tanzten die berühmten Weisröckchen, von den Kindern sehnsüchtig herbei gesungen. Nur in einem Winkel am Alpenrand schienen die Naturgesetze außer Kraft geraten: Im Salzburger und Berchtesgadener Land herrschte der Föhn: Mit tosender Macht rauschte der warme Wind von den Bergen herab, pustete sämtliche Wolken bis zum Chiemsee und blies so warm über die verwaisten Acker, wie Maienluft.

Da brachen die Forsythien in den Garten auf und die Krokusse schossen mit den Himmelsschlüsseln um die Wette aus dem saftigen Gras. Die Kinder fuhren Skateboard und ließen Drachen steigen, - die Pelzhändler aber runzelten die Stirn: bei solchen Wärmegraden machten sie keine Geschäfte...
An solch einem frühlingshaften Dezembermorgen kitzelte ein dreister Sonnenstrahl den Osterhasen an der Nase. Der nieste heftig und wachte ganz verstört aus seinem wohlverdienten Winterschlaf. Seufzend reckte er seine lahmen Glieder und gähnte eine halbe Stunde lang - kein Wunder, er hatte ja noch längst nicht ausgeschlafen. Pflichtbewusst, rappelte er sich dennoch hoch, putzte seine langen Löffel, lauschte dem emsigen Summen der Bienen und meinte, es müsse wohl seine Ordnung haben mit dem plötzlichen Frühling. Zuerst knabberte er einige Krauter, um zu Kräften zu kommen, dann hoppelte er in den Wald, um Reisig für die Nester zu sammeln.


Da begegnete ihm ein großer, alter Mann mit weisen Haaren und einem langen, weisen Bart. Der trug einen dicken Mantel aus purpurrotem Wollfilz mit weisem Pelzbesatz, und seine schweren Fellstiefel sanken bei jedem Schritt tief in den weichen Humusboden. Auf seinen Schultern lastete ein großer Sack und von der Stirn tropften ihm Schweißperlen.

„Meinen aller gnädigsten Gruss, edler Herr, wo kommt Ihr denn her in dieser Tracht?“ fragte der Osterhase mit höflichem Kratzefuss. „Habt Ihr Eure Frühlingsgarderobe noch nicht ausgepackt?“ „Du irrst Dich, guter Hase“, entgegnete der eingepackte Herr, „der Winter ist überall angebrochen, nur in dieser Gegend spielt das Wetter verrückt.“

„Dann haben wir also gar nicht Frühling?“ fragte der Osterhase mit ungläubigen Augen und einem Riesenstossseufzer. „Aber nein, es ist Advent“, beschwichtigte ihn der alte Mann. Der Hase schien erst erleichtert, fragte dann aber doch verwundert: „Wo kommen dann all die Frühlingsblumen her? Und warum scheint die Sonne so unverschämt warm, dass alle Kreatur keimt und sprießt?“

„Das ist ein Streich, den der Föhn gespielt hat – aber sage mir, warum ist das so wichtig für Dich?“
Da machte der Angesprochene eine artige Verbeugung und stellte sich mit geheimnisvollem Augenzwinkern vor: „Gestatten, ich bin der Osterhase.“

Der Herr im Pelz riss die Augen auf: „So ein Zufall! Ich bin der Heilige Nikolaus.“

„Der Nikolaus? - Der Osterhase schnappte ordentlich nach Luft. – d d d der richtige, echte Nikolaus?“ und dann fiel er vor Staunen auf den Popo. Das musste er erst mal verdauen. Wenngleich die beiden voneinander wussten, so war es doch im Jahreslauf nicht vorgesehen, dass sie sich jemals begegnen wurden! Wenn der Nikolaus nämlich mit Sack und Rute von Haus zu Haus geht, träumt der Osterhase selig und süß in seinem Winternest. Und wenn der Osterhase mit seinem Eierkorb von Garten zu Garten hoppelt, schnarcht der Nikolaus tief und fest in seiner Holzhütte am Nordpol. Jetzt standen sie sich leibhaftig gegenüber – war das zu fassen?

Noch bevor der Osterhase die Überraschung verdaut hatte, gellte ein Schuss durch den Wald. Entsetzt sprang er auf und starrte den Nikolaus mit weit aufgerissenen Augen an. ─ Was war das? ─ Noch ein Knaller! ─ Dem armen Hasenfuss schlotterten die Knie.

„Es ist Jagdzeit“, erklärte der Heilige, „Du musst Dich verstecken.“

„Abbbbber - ich bin doch der Osterhase!“ stammelte Meister Langohr mit entrüstetem Blick, „mich darf man nicht erschießen!“

„Ob das die Jager wissen?“ gab der Nikolaus zu bedenken. „Schließlich ist es doch ungewöhnlich, dass der Osterhase im Dezember spazieren geht...“ Der sackte käsebleich zusammen und begann erbärmlich zu bibbern. Der Nikolaus hatte Recht, er war in höchster Gefahr! ─ Peng! Noch ein Schuss! Jetzt war keine Zeit mehr, zu überlegen, jetzt musste gehandelt werden!

„Spring’ schnell in meinen Sack“, schlug der Nikolaus vor, „dort sieht Dich keiner und Du stehst unter meinem Schutz.“ Dies schien auch dem Osterhasen die sicherste Möglichkeit, den blutrünstigen Haschern zu entrinnen. So schlupfte er ohne Zögern zwischen all die guten Gaben und zog die Ohren ein. Wenn ihm ein Leid geschähe – wer wurde dann zu Ostern den Kindern die bunten Eier bringen?

Kaum hatte der Nikolaus seinen Gabensack wieder zugebunden, wurde er von einer Meute klaffender Jagdhunde umringt, denen bald eine Horde schwitzender Treiber folgte. Die Hunde hielten den Herrn im Pelzmantel wohl für einen Wilderer, denn sie jaulten ganz schauerlich und sprangen immer wieder an dem großen Sack hoch, aus dem ihnen die Witterung eines höchst lebendigen Hasen entgegen strömte. Dem Osterhasen standen die Haare zu Berge und sein kleines Hasenherz pochte bis zum Hals.

Verzweifelt tastete er umher, bekam einen Hampelmann zwischen die Pfoten und druckte ihn fest an seine Hasenbrust. Und der gute Hampel tröstete den bibbernden Osterhasen in seiner Todesnot.
Als die Treiber keuchend vor dem Nikolaus standen, erkannten sie den frommen Mann, pfiffen die Hunde zurück und fielen ehrfurchtsvoll auf die Knie. Inzwischen war auch der Jagdherr erschienen, zog seinen Hut und neigte demütig sein Haupt: „Verzeiht, Heiliger Nikolaus, die Hunde sind dumm und von wenig religiösem Verstande.“ - „Nehmt sie an die Leine und blast die Jagd ab – Morgen ist ein besserer Tag, den Weihnachtsbraten zu schießen“, erklärte der Bischof. Die Jager gehorchten dem heiligen Befehl aufs Wort. Zum Dank erhielten sie Lebzelte, die der Osterhase dem Nikolaus eilfertig aus dem Sack reichte – was war er froh, die gefährliche Gesellschaft los zu werden. Ein frommer Segen begleitete die artigen Weidmanner ins nächste Dorf, wo sie im Wirtshaus einkehrten, während Nikolaus mit seinem übervollen Gabensack Richtung Stadt marschierte.

Auf einem Bauernhof am Rand des Hausermeeres kehrte er zuerst ein. Nach der Bescherung bat er die Bäuerin, sich ungestört im Stall ausruhen zu dürfen. Die fromme Landfrau hatte den hohen Besuch lieber die Ofenbank in der guten Stube angeboten, gab dem seltsamen Wunsch des Heiligen aber widerspruchslos nach: ‘Vielleicht will er den Tieren noch seinen Segen geben’, dachte sie, ‘schließlich ist das Christkind zwischen Ochs und Esel geboren worden.’

Im Stall schloss der Bischof sorgfältig die Tür und wandelte würdevoll durch ein Spalier gemächlich wiederkauender Kühe. Ab und zu nickte er huldvoll mit dem Kopf, wenn ihn ein rosenmundiges Rindsmaul mit munterem Muh willkommen hieß. Am Ende der Sackgasse türmte sich eine Fuhre frischer Streu. Aus dem einen Eck blinzelte ein zutraulicher Esel von seinem Strohlager und aus dem anderen Eck lugten drei aberwitzige Ziegen über den obersten Balken ihrer Bretterbox.

Der Nikolaus ließ seinen schweren Sack in den Strohvorrat plumpsen und befreite sogleich seinen Weggefährten. Dann lies er seinen dicken Mantel von den Schultern gleiten, breitete ihn auf dem

Stroh aus und setzte sich erleichtert nieder. Der Osterhase reckte sich und streckte sich und guckte neugierig herum. Dann schlich er zur Stalltür und spähte durchs Schlüsselloch, um nachzugucken, wo er denn nun eigentlich sei. Doch er sah nur ein paar Sterne, die weit weg vom Himmelszelt blinkten. Aufgeregt lief er zu seinem Beschützer zurück: „Wie kann das sein – draußen ist’s schon dunkel und wir haben doch höchstens Nachmittag!“ ─ „So ist das immer in der Heiligen Zeit“, erklärte der Bischof, „die Tage sind kurz und die Nachte lang. Nicht umsonst wird der Advent die besinnliche Zeit genannt. Da haben die Menschen Zeit, sich zu besinnen.“

„Aber bei solch stockdusterer Nacht finde ich nimmermehr zurück!!“ jammerte der Osterhase. Ratlos kratze er sich unterm rechten Löffel, dann blitzten seine Äugelein auf: „Ich konnte mich in dem Strohhaufen hier verkriechen, bis der Frühling kommt...“

Ein kratzendes Geräusch am Stallfenster unterbrach das Gespräch. Entsetzt sprang der Osterhase hinter die dicken Kuhleiber und druckte sich gleich an die raue Kalk Wand. Einen Kuhfladen wollte er nicht auch noch ins Gesicht serviert bekommen...

Der Nikolaus erhob sich ächzend und ging nachschauen. Der halbwüchsige Sohn des Pferdeknechts druckte sich an der beschlagenen Scheibe die Nase platt. Er war mit seinem Vater spät vom Holzholen aus dem Wald zurückgekehrt und hatte beim Abendbrot erfahren, dass sich der Heilige im Stall aufhielt.

Hinter dem Namen des Burschen war „fromm und fleißig“ im Goldenen Buch vermerkt - er hatte also etwas Suses aus dem Gabensack verdient. Nikolaus schob ihm etliche Lebkuchen durch die Gitter des kleinen Fensterchens und nahm ihm das Versprechen ab, für den Rest des Abends brav nebenan im Pferdestall zu bleiben. Der Junge war einverstanden und vertrollte sich fröhlich pfeifend mit seinen Leckereien. Nun rief der Nikolaus den Osterhasen wieder hinter den fliegenklatschenden Kuh Schwänzen hervor und bot ihm an, mit auf dem Pelzmantel Platz zu nehmen. „Über längere Zeit kannst Du Dich hier nirgends verstecken“, erklärte der Bischof, „aber ich kann Dich nachher mit in die Stadt nehmen und auf dem Rückweg an geeigneter Stelle absetzen.“ Der Hase äugte mit gerümpfter Nase auf das Notquartier, dem er gerade entronnen war: „Du willst mich doch nicht etwa wieder in den dunklen Sack stecken?“

„Da wird uns nichts anderes übrig bleiben, wenn Du unerkannt aus dem Dunstkreis der Menschen verschwinden willst.“ Die Situation war peinlich. „Ja, bin ich Dir denn nicht zu schwer?“ wandte der Osterhase ein, „Du hast doch auch ohne mich schon genug zu schleppen.“

„Eine Bürde, die mit Freuden getragen wird, ist keine Last“, erwiderte der Alte und lächelte sein ewig junges Gegenuber gütig an. Der Osterhase senkte beschämt die Lider. „Und damit Du an diesem kleinen Ausflug auch deine Freude hast, schneide ich ein Guckloch ins Gewebe.“ Da strahlte

der Osterhase wie ein Honigkuchenpferd: „So einer, wie Du, ist mir noch nie begegnet.“
„Ich bin ja auch ein Heiliger“, schmunzelte Nikolaus, „und wenn Du mir wieder all die Päckchen aus dem Sack reichst, tust Du mir ebenfalls einen nützlichen Gefallen. Das Bücken schmerzt mich nämlich im Kreuz.“ ─ „Und wie ich Dir helfen werde!“ ereiferte sich der Osterhase, „so flink, als ginge es um die letzten Ostereier!“ ─ „Dann ist ja alles gut“, nickte der Nikolaus und zog ein kleines Fläschchen aus der Manteltasche: „Auf gute Zusammenarbeit.“ Er trank einen kräftigen Schluck aus der Rumbuddel und reichte sie seinem Gefährten. Der war das Schnäpschen trinken aber nicht gewohnt und konnte kaum das Niesen unterdrucken, als ihm der Alkohol in die Nase stieg.

„Vorsicht, das ist nichts für zarte Gemüter!“ warnte der Alte, als er merkte, dass das Häslein derart scharfe Sachen nicht kannte. Schnell gab er ihm einen Elisenlebkuchen und lies den Zuckerschnaps verschwinden. Der Osterhase schnupperte aufgeregt an der unbekannten Köstlichkeit, dann biss er vorsichtig hinein: So also schmeckte Weihnachten! Verzückt schmatzte er den würzigen Honigkuchen und merkte kaum, dass ihn der Nikolaus wieder in den Sack steckte.

Der Bischof zog seinen Mantel über, verließ den Stall und ging seines Wegs, während der Osterhase im Sack Lebkuchen mampfend unbekannten Abenteuern entgegen schaukelte. Plötzlich traf ihn ein weiser Lichtstrahl ins Gesicht. Motoren heulten, Bremsen quietschten. Sie waren in der Stadt. Der Osterhase lugte durchs Loch des Nikolaussackes in die weihnachtlich geschmückten Straßen: Tannengrun, bunt glänzende Kugeln, glitzernde Sterne und überall viele kleine Lichter. Wie schön, dass er das erleben durfte. Nun gingen sie von Haus zu Haus. Nikolaus las aus dem Schwarzen und dem Goldenen Buch vor, tadelte und lobte, wie es seine Pflicht war, hörte sich Lieder und Gedichte an. Dann verteilte er Apfel, Nuss’ und Lebkuchen – manchmal auch kleine Spielsachen.

Als alle Kinder der Innenstadt besucht waren, bummelte der Heilige Mann noch über den Christkindlmarkt. Was gab es da zu sehen! Am Liebsten wäre der Osterhase durchs Guckloch gekrochen, um all die wunderbaren Dinge anzufassen. Hölzerne Engel mit geschnitzten Flügeln schwebten über bunt bemalten Nussknackern. Vor den Rindenkrippen mit den lebensechten Tonfiguren glitzerte silbernes Lametta. Aufgeputzte Zwetschgenmanderl standen stolz neben ihren Weiberl vor reich verzierten Lebkuchen Häusern. Bunt glänzende Christbaumspitzen, Posaunen und Trompeten harrten neben klimpernden Glockenspielen ihrer feierlichen Verwendung und hie und da erklang eine liebliche Melodie – mal aus einer Spieluhr, mal von Musikanten, die auf einem Podium neben dem Christbaumverkauf auftraten. Zwischen all diesem Budenzauber roch es an jedem Eck anders: Hier nach gebrannten Mandeln, dort nach Bratwürsten und dazwischen nach Punsch und Glühwein. Unter dem großen beleuchteten Tannenbaum am Ende des Marktes stand noch ein Maronimann. Was musste Weihnachten für ein Fest sein, wenn die Menschen schon drei Wochen vorher so zu feiern wussten! Der Osterhase schloss die Augen und glaubte zu träumen.

Das Gemurmel verebbte, Orgelklang und Chorgesang weckten ihn aus den süßen Glimmertraumen. Angestrengt schaute er hinaus ins Dunkel. Vor ihm präsentierte sich das majestätische Portal des Domes im Mondenschein. Der Nikolaus nickte zufrieden, stapfte zum Hintereingang und schlich in die hell erleuchtete Sakristei. Von dort führte eine teilverglaste Tür in einen selten benutzen Nebenraum voller Kirchen Gerümpel. Hier öffnete der Nikolaus seinen fast leeren Sack und lud den verwirrten Osterhasen ein, mit ihm am Rand eines alten Taufbeckens Platz zu nehmen. Dann zog er eine Tute heiser Maroni aus dem Ärmel und zeigte seinem kleinen Freund, wie man sie öffnete und verspeiste. Wie die beiden gerade einträchtig schmausend ihr wohlverdientes Abendmahl hielten, kam der Mesner in die Sakristei, horte beim Einfüllen des Messweins das Knacken der Schalen und dachte, im Abstellraum seien Mause dabei, eine hölzerne Heiligenfigur kaputt zu nagen. Mit dem Besen in der Hand stürmte er hinein. Als er sah, wer da im Hinterzimmer vergnügt süße Kastanien schnabulierte, lies vor Schreck den Kelch des Herrn fallen und stürzte einem Irren gleich in die Andacht. Der Priester unterbrach erstaunt sein Hosianna, als sein Diener mit konfusen Gebärden stammelte, neben der Sakristei säße der Nikolaus mit dem Osterhasen und futtere Maroni. Die Chorknaben kicherten drauflos, die Gemeinde erwachte aus ihrer Versenkung, Unruhe breitete sich aus.
Bevor ein Tumult ausbrach, rief der Geistliche nach einem Seelenarzt und beschwor Gott den Herrn, dem vermeintlich Armen im Geiste gnädig zu sein.

Während dessen hatte der Nikolaus seinen Gefährten wieder im Sack verstaut und sich aus dem Kirchenstaub gemacht. Der warme Wind war wie weggefegt. Bei klirrender Kalte keuchte er durch die

grauen Gassen. Mensch und Tier hatten sich in die Hauser verzogen, warmer Rauch stieg aus den Schornsteinen empor, vom diesigen Himmel wirbelte ein Schneeballett. Nach und nach verhallten die Schritte des Heiligen auf dem Kopfsteinpflaster. Er verließ die Stadt.

Im milchigen Nachtlicht wanderte Nikolaus über holprige Stoppelfelder und zertrampelte Weiden dem Gebirge zu. Auf einem vorgelagerten Hügel besuchte er noch einen halb verlassenen Aussiedlerhof. Ein altes Mutterl saß einsam in der Kuchl und sortierte Hutzeln, die im Kachelofen dorrten, auf der Ofenbank garte dunkler Brotteig. Im Herrgottswinkel flackerte eine Kerze und gab den Erinnerungsbildern an der Wand einen lebendigen Ausdruck. Während ihre Hände unermüdlich werkelten, unterhielt sich das Hutzelweiblein murmelnd mit den Verstorbenen, grad so, als säßen sie putzmunter bei ihr am Tisch. Der Nikolaus hängte ein riesiges Lebkuchenherz ans Fenster und verzog sich in die Scheune.

Im Sack regte sich nichts. Der Osterhase lag im Tiefschlaf, den Hampelmann im Arm, und schnaufte so sanft, wie ein satter Säugling. Schmunzelnd stopfte der Heilige etwas Stroh unter seinen Popo und packte ihn rundum in Heu ein. Dann nahm er seinen kleinen Freund wieder huckepack und stapfte hinaus in die schlafende Natur. Der Strahl des Abendsterns lugte neugierig durchs Guckloch:
Der Osterhase lächelte im Traum. Und die Tritte des Heiligen knarzten durch die Stille der Nacht. Prustend schleppte sich Nikolaus den aller höchsten Berg hinauf. Am oberen Rand der Baumgrenze hatten Wind und Wetter zwischen Felsen eine kleine Schlucht getrieben. Dort wuchsen sturm geschützt drei Zirbenkiefern so eng umschlungen, wie verwachsene Drillinge. Ihre Kronen bildeten über der offenen Hohle ein luftiges Dach, das im Winter vollkommen mit Schnee bedeckt war. In einer Specht Höhle unterhalb der Astgabelungen wachte ein Waldkauz. Unter den Wurzeln hausten Murmeltiere, inmitten der drei Stamme war ein verwuchertes Nest entstanden, gerade groß genug für ein Hasennest.

Vorsichtig legte der Nikolaus seinen Sack hinein und segnete den schlafenden Osterhasen. Mochten Fels und Rinde vor Wind und Wetter, Heu und Stroh im Sackleinen den fröhlichen Gesellen vor der Kälte schützen, bis seine Zeit anbrach, die Kinder mit bunten Eiern zu überraschen.

Dann stapfte der Alte noch ein Stückchen weiter bergan. Auf einer Hochebene neben dem Gipfel stand sein Himmelbettschlitten. Zufrieden kroch der unsterbliche Bischof von Myra in seine Eiderdaunen, streckte seine müden Glieder und zog an einer roten Kordel. Glockengelaut erklang, die vorgespannten Engel breiteten ihre goldenen Flügel aus und trugen das prächtige Gefährt „Halleluja“ singend über die Schneewolken in den Weihnachtshimmel.

Es war Frühling – aber nur auf dem Papier. Am Straßenrand lagen meterhohe Schneehaufen und der Pelzhändler rieb sich die Hände: Jetzt machte er das große Geschäft eben in der Fastenzeit.

Die Erwachsenen fuhren Ski in den Bergen und die Kinder rodelten an sonnigen Nachmittagen über die hügeligen Kuhweiden. Die Hühner drängten sich im Stall in ihren Nestern zusammen und legten keine Eier. Der Hahn spazierte hin und wieder hinaus, um den Tag zu verkünden, brachte aber nur ein heiseres Krächzen zustande – die Stimme erfror ihm in der Kehle.

‚So kann das nicht weiter gehen’, dachte Bauer Bartl und kratzte sich am Kopf. ‚In 14 Tagen ist Palmsonntag – da pflegt der Osterhase die Eier zu holen, um sie für die Osternester zu bemalen....’ Ob er bei der Kälte dieses Jahr überhaupt kam? Und was, wenn er todesmutig durch die eisige Schneewüste hoppelte und keine Eier da wären? Nicht auszudenken!

Bartl musste etwas unternehmen. Mit einem Becher voll heißen Lindenblütentees in der Hand setzte er sich auf seinen Küchenstuhl vorm Fenster und brütete vor sich hin. Dabei schweifte sein Blick auf die große Ofenbank, die sich rund um den Kachelofen schmiegte, dann auf das Gestänge überm Ofen, an denen des Winters feuchte Kleidungsstücke aufgehängt wurden. Sie waren genauso dick, wie die Sitzstangen im Hühnerstall und auf der Ofenbank hätten kleine Kistchen Platz – wenn er die mit Stroh und Heu füllte, wären das schöne Nester zum Eierlegen...

Das war die Idee!!! Der Bauer eilte hinaus in den Wintergarten, schüttete die vertrocknete Erde aus den Saatkästen auf den Kompost und trug die leeren Behälter ins Bad.

Dort wurden sie heiß abgeduscht, ausgeschrubbt, trocken getupft und zum Trocknen hochkant an den Kachelofen in der Küche gelehnt. Dann holte Bartl einen Korb voll Stroh und einen zweiten voller Heu aus der Scheune. Sobald sich der Boden der Saatkistchen vor Trockenheit spannte, legte er sie auf die Ofenbank, verteilte das klein gehäckselte Stroh darinnen und legte sie oben mit Heu aus. Das sah kuschelig aus – so richtig zum Eierlegen!

Gerade wollte er die frierenden Hühner holen, da kam ihm die Katze in die Quere, drückte sich an seine Beine und maunzte herum. Was nun? Bartl überlegte: Im Hof flatterten die Hühner der Katze davon – aber hier? Was, wenn Miezi ihnen in der Nacht an die Gurgel ging? Da gab 's nur eins: Der Stubentiger musste umgesiedelt werden! Bei der Kälte wurde die gute Stube ohnehin den ganzen Tag beheizt. Also nahm Bartl das Katzenkissen und legte es im Salon vor den Ofen. Doch Miezi schaute ihm nur mit großen fragenden Augen hinterher und blieb wie erstarrt in der Küche stehen. Das Wohnzimmer war für sie bisher verbotene Zone gewesen...

Der Bauer schaute sich um und verstand: Die Katz traute sich nicht. „Na komm schon, Miezi, schau, ich hab Dir schon Dein Kissen reingelegt – jetzt darfst Du in der Kemenate wohnen,!“

Frau Samtpfote tappte in den Flur und blieb vor der Schwelle des offenen Wohnzimmers stehen. „Miez, Miez, Miez“, lockte er – doch sie traute sich noch immer nicht ins Allerheiligste. „Na dann müssen wir Dich eben mit was Leckerem locken“, murmelte Bartl, ließ die Türen offen stehen und schnappte sich die Fressnäpfe in der Küche.

Miezi kam erwartungsvoll gelaufen und sprang an seinen Beinen hoch. „Hast Hunger?“ freute er sich, „kriegst gleich was – aber nett hier.“ Miezi verstand seine Worte nicht, merkte aber, dass sie warten sollte. Also hüpfte sie aufs Fenstersims und beobachtete, wie er die Näpfe unterm Wasserhahn ausbürstete, eine Dose Katzenfutter öffnete, es mit Haferflocken und Heißwasser mischte und den zweiten Napf mit verdünnter Milch füllte. Kaum hielt er die vollen Näpfe in Händen, sprang sie erregt zu Boden und lief mit aufrechtem Schwanz auf ihn zu. Doch was machte ihr Herrchen? Er verließ mit ihrem Fressi den Raum! Mit weiten Augen und bebender Schwanzspitze folgte sie ihrem Herrn wie ein Schatten. Im Sommer pflegte er die Näpfe oft vor der Haustüre abzustellen – doch wohin ging er jetzt? Mitten in die gute Stube.

Miezi zögerte immer noch, in die verbotene Zone zu folgen. Der Bauer schaute sich um: „Miez, Miez, Miez“, lockte er und stellte die Näpfe neben das Katzenkissen. Jetzt gab es kein Halten mehr! Mit einem Satz sprang die Katz über die Türschwelle, legte auf dem glatt gebohnerten Parkett eine Vollbremsung hin und stürzte sich auf den Futternapf. „Brav“, sagte Bartl. Trotzdem zuckte Miezi zusammen, als seine Hand ihren Nacken berührte. Wie oft hatte er sie früher aus der guten Stube geworfen... Doch die derben Bauernfinger packten sie heute nicht am Schlafittchen, sondern kraulten das weiche Fell. „Ist schon gut“, murmelte er, „jetzt darfst dableiben“. Das ermunterte sie, den veränderten Umständen Vertrauen zu schenken. Schnurrend verschlang sie gierig ihre Mahlzeit. Als sie satt war, schlabberte sie noch etwas Milch und putzte sich das Mäulchen. „So, und jetzt bleibst hier“, sagte Bartl und streichelte sie. Miezi strich um seine Beine, schaute fragend zu ihm auf und wollte ihm hinaus folgen. Da nahm er sie hoch, setzte sie aufs Katzenkissen und streichelte so lange weiter, bis sie sich entspannt hinlegte, einrollte und die Augen schloss.

Bartl verließ den Raum auf Zehenspitzen und schloss die Tür. Nun ging’s in den Hühnerstall. Die Hennen wetzten kreischend auseinander, als er die erste am Schlafittchen packte – schließlich wollte keine im Suppentopf landen... Nachdem das erste Huhn nicht geköpft wurde, beruhigte sich die übrige Sippe, stob aber wieder auseinander, als der Bauer nach der Nächsten griff. Beim dritten Versuch liefen sie gleich in alle Richtungen davon – was tun?

Bartl holte den großen Transport-Käfig und stellte das Hühnerfutter hinein. Dann brachte er den Wärmestrahler darüber an. Der Hahn spazierte als erster in die 'warme Stube', bald folgten seine Hennen und pickten einträchtig mit ihm frische Körner aus dem Napf. Der Bauer schlich hinzu, schloss die Tür, steckte die Wärmelampe aus und wuchtete die Kiste auf den Schubkarren.

Ein alter Sack schützte die nunmehr wild gackernde Gesellschaft vor der Kälte im Hof. Vor der Hintertür zum Haus stellte Bartl die Karre ab und trug sein Federvieh schnell in die warme Küche. Nachdem er alle Türen gut verschlossen hatte, stellte er die Transportkiste auf einen Schemel. Dann lüftete den Sack und nachdem sich das Federvieh beruhigt hatte, öffnete er die Klappe. Die erste Henne flatterte auf die Stange überm Kachelofen und stellte sich mit wachsamen Augen tot. Die zweite machte sich in einem Nest breit. Nun tappten die anderen Hühner zum offenen Ausgang des Gefängnisses, flatterten auf die Ofenbank und untersuchten den Inhalt der Nistkästen. Bald folgte der Hahn, schwang sich mit stolz geschwellter Brust auf die Eckstange und wagte ein Krähen. Da verließen auch die letzten Hühner den Käfig und gesellten sich zum Schlafen aufs Gestänge. Der Bauer holte die irdene Schale aus dem Käfig und stellte sie unter die Bank. Dort konnte das Federvieh sein Futter nicht beschmutzen. Die Transportkiste brachte er wieder zurück in die Scheune.

Überm warmen Kachelofen erholte sich der Hahn schnell. Bald krähte er voller Inbrunst von seinem Ansitz und die Hennen legten wie die Weltmeister – schien doch jeden Morgen die Sonne etwas früher durchs Fenster... Bartl nahm die Eier zweimal täglich aus den Nestern, legte sie in einen Korb und bewahrte diesen in der kalten Scheune auf, damit keine Küken schlüpften.

Das Osterfest kam immer näher. Der Eiswind fegte um die Häuser, die Wolken brachten Schnee und Graupel – es war wie verhext. Wo war der Frühling geblieben? Oder war wieder eine Eiszeit angebrochen? Am Karfreitag zog der Mesner in wilder Verzweiflung an den Glockenseilen, um den Frühling einzuläuten und beim Gottesdienst beteten die Leut voller Inbrunst um ein Ende des nicht enden wollenden Winters.

Das Geläut weckte den Nikolaus in seinem Haus. Müde schaute er zur Erde und staunte: ‚Nanu – schon Winter? Alles weiß! Offenbar rufen die Glocken zum Ersten Advent...’ Ächzend erhob sich der alte Bischof, schlüpfte in seine Pelzstiefel, hüllte sich in den roten Pelzmantel und zog die Kapuze übers weiße Haar. Dann weckte er die Weihnachtsengel. „Marsch, marsch – Staub wischen und Ofen heizen! Ich guck derweil auf Erden nach dem Rechten.“ Seltsam erschien dem Heiligen die verschneite Welt – die Tage waren so ungewöhnlich lang... Vorsichtshalber ließ er den Rentierschlitten auf einer Waldlichtung und stapfte zu Fuß über die frostharten Äcker.

Da kam ihm eine vermummte Gestalt entgegen, die einen Kinderschlitten mit zwei riesigen Körben hinter sich her zog. Beim Näherkommen roch der Mann nach Kuhstall. Es war Bauer Bartl mit den Ostereiern und der staunte nicht schlecht, den Nikolaus zu treffen. ‚Ist die Welt jetzt total verrückt?’ dachte er. „Guten Tag, Bauer“, grüßte der Bischof, „kannst Du mir sagen, welchen Tag wir heute haben? Mir deucht, es sei Frühjahr, wenngleich es ringsum friert.“ ─ „Das kann man wohl sagen“, erwiderte Bartl, „wir haben nämlich Karfreitag.“ Der Nikolaus riss die Augen auf. Deshalb war er so müde! Jetzt verstand er einiges... „Und wohin des Wegs, guter Mann?“ fragte er weiter.

„Ich wollt zum Osterhasen, weil der die Eierkörbe nicht geholt hat. Am Palmsonntag ist er ausgeblieben – und jetzt wird die Zeit knapp. Hoffentlich ist er nicht krank.“

„Ja weißt Du denn, wo der Osterhase seinen Winterschlaf hält?“ fragte der Nikolaus.

„Hmmm – ich glaub das war in einer Erdgrotte hinter den Haselbüschen – in einem Hügel auf der Kräuterwiese im Eichwald.“

„Du kennst Dich ja aus“, meinte Nikolaus nachdenklich.

„Naja, als langjähriger Eierlieferant – einmal hat er sich auf der Flucht vor einem kläffenden Hund den Fuß verknackst, da hab ich ihn heimgebracht“, erzählte Bartl.

„Schön – aber heute wirst Du ihn dort nicht finden“, klärte ihn der Bischof auf.

Der Bauer schaute den Heiligen verwundert an: „Ja, wo ist er denn dann? Ist ihm was passiert?“

„Nein“, beruhigte ihn der Nikolaus, „er schläft selig und süß da droben am Berg – geborgen wie eine Raupe im Kokon. Aber weil es so kalt ist, wacht er wohl nicht auf. Weißt Du was? Gib mir die Eier mit und ich gehe ihn wecken.“

„Wenn der noch nicht mal zu Hause ist – wann soll er dann die Eier bemalen?“ fragte Bartl. „Ich hätte ihm ja auch geholfen, denn normalerweise braucht er dazu die ganze Karwoche.“

Der alte Bischof von Myra lächelte verschmitzt. „Lass das mal meine Sorge sein – vertraust Du mir?“ ─ „Aber ja doch, Hochwürden“, beteuerte der fromme Bauer. „Dann folge mir auf die Waldlichtung hinter den Silberfichten“, sagte der Nikolaus, „dort wartet mein großer Rentier-Schlitten – oder soll ich alter Mann die schweren Eierkörbe über Stock und Stein tragen?“

„Natürlich nicht, es ist mir eine Ehre, Euch begleiten zu dürfen“, beteuerte Bartl artig.

Da legte der Heilige seinen Arm um den guten Mann und den durchströmte eine Wärme, dass er den kleinen Schlitten mühelos hinter sich her zog. Der Nikolaus verwickelte ihn in ein munteres Gespräch und mir nichts dir nichts waren sie am Ziel.

Die beiden Eierkörbe wurden in den Rentierschlitten umgeladen und Bartl kehrte mit einem sehr herzlichen Dankeschön des Nikolaus wieder um. Seine eigenen Spuren zurückverfolgend, fand er wieder nach Hause – denn aufgepasst hatte er bei dem anregenden Gespräch nicht.

Der Nikolaus trieb indessen seine Rentiere an und schwebte mit den Eierkörben in den Weihnachtshimmel. Seine fleißigen Engel hatten schon alles vorbereitet zum Plätzchen backen – aber daraus wurde nichts. Statt Honig und Mehl, Hutzeln, Nüssen und Lebkuchengewürz brachte der Nikolaus zwei große Körbe voller Eier und ordnete an, die Farben heraus zu holen, mit denen sie sonst die Lebkuchenherzen bemalten. Dann stellte er sich an den Ofen, kochte die Eier Minuten lang und verteilte sie zum Färben. Die Weihnachtsengel gaben sich große Mühe, die Ostereier besonders schön zu verzieren – aber wie es im Frühling auf Erden aussieht, das wussten sie nicht...

Der Nikolaus hatte anderes zu tun, als die Malwerkstatt zu beaufsichtigen – er musste den Winter verjagen und den Frühling herbeiholen! Mit wildem Donnersturm brauste er übers Land und peitschte das Eis mit Blitzen, dass es ächzend zerbrach. Im Morgengrauen scheuchte er die Wolkenschleier von der Sonne und hieß diese so kräftig scheinen, dass alles in ihrem Glanz dahin schmolz. Der Pelzhändler mottete die Fell-Mäntel ein und stellte Walkjanker ins Fenster. Und die Kinder schleppten ihre Schlitten auf den Dachboden und holten die Rollschuhe hervor.

Bartl siedelte Hahn und Hennen wieder in die Scheune um und machte Großputz in der Küche. Miezi durfte in der guten Stube bleiben und kam sich wie eine Diva vor.

Der Bischof stapfte zum Berg-Pass hoch. In der engen Klamm hatte sich die Kälte gehalten. Der Osterhase schlummerte noch. Doch nicht mehr lang: Der Specht zimmerte schon an dem hohlen Baum herum und als Meister Langohr ordentlich wach geklopft seine Löffel aus dem Heu spitzte, stand der Nikolaus vor ihm und sagte: „Guten Tag, wünsche wohl geruht zu haben.“

Der Osterhase riss verdutzt die Augen auf, sprang aus seinem Winternest und starrte den Heiligen an. „Du hier?“ wunderte er sich. „Ich dachte, der Nikolaus schläft an Ostern?“

Der Bischof grinste: „So sicher wie der Osterhase im Advent.“

Meister Lampe erinnerte sich verschämt lächelnd seines Ausflugs im Nikolaus-Sack...

„Diesmal war es umgekehrt“, klärte ihn Nikolaus auf. „Bis gestern herrschte hier klirrende Kälte. Ich erwachte vom Karfreitagsläuten und meinte, es sei Advent.“ Der Osterhase grinste. Dann ging ihm ein Lichtlein auf und er plumpste auf den Popo. „Karfreitag?“ erschrak er. „Schon gestern?“ Er wurde blass um die Nase und schlug die Vorderpfoten über dem Kopf zusammen: „Du meine Güte!“ Der gute Nikolaus half ihm auf. „Nur keine Panik“, beruhigte er das Häufchen Unglück, „die Ostereier sind schon gekocht und werden gerade bemalt.“

Der Osterhase guckte ungläubig: “Von wem denn?“ Der Nikolaus lächelte: „Von meinen Engeln – komm mit und schau selber.“ Das ließ sich Meister Langohr nicht zweimal sagen. Nikolaus holte seinen alten Sack mit dem Heu und Stroh aus dem Baum, setzte sich drauf, nahm den Osterhasen vor sich auf das Kissen und heidihussa rutschten sie auf dem letzten Matsch bergab. Unten ließen sie den zerfetzten Sack liegen – Hamster und Mäuse würden sich über das Nistmaterial freuen.

Nikolaus führte den Osterhasen zu seinem geheimen Landeplatz, sie stiegen in den Rentierschlitten und sausten empor in den Weihnachtshimmel.

In der Hütte des Nikolaus herrschte eifriges Treiben. Die Englein flatterten mit ihren glänzenden Flügeln so allerliebst herum, dass der Osterhase sich nicht satt sehen konnte. Als er jedoch die bemalten Eier sah, fing er lauthals an zu lachen, trommelte sich auf den Bauch und kugelte auf dem Boden herum. Die Engel verstanden seine Reaktion nicht recht: War das nun Freude oder Häme? Sie hatten sich doch so viel Mühe gegeben! Betroffen warteten sie auf eine Erklärung.

Der Osterhase war gerührt von ihrer Hilfsbereitschaft und sagte: „Ihr habt das wunderschön gemacht – bloß eben anders.“ Die Engel kannten nichts anderes, als Herzen und Sterne, Mistelzweige und Tannengirlanden – woher auch? Sie hatten noch nie eine Frühlingswiese mit Blumen gesehen. Der Osterhase schmunzelte beim Betrachten der weihnachtlichen Oster-Kunst. „Jetzt müssen wir die Eier noch einfetten, damit sie glänzen“, erklärte er, als er seine Fassung wieder gewonnen hatte.

„Dann sind wir ja rechtzeitig gekommen“, meinte der Nikolaus, „das haben wir nicht gewusst.“ Nur womit? Speckschwarten gab es hier nicht. Doch der Nikolaus hatte einen Topf Rindertalk, mit dem er sonst seine Stiefel wichste. Damit gaben Nikolaus und Osterhase den Eiern ihren letzten Glanz und legten sie vorsichtig zwischen das Heu in die Körbe. Die Engel räumten die Stube auf, buken Rosinenbrote und kochten Tee. Dieser weckte Meister Lampes Lebensgeister und das Rosinenbrot schmeckte so gut, dass er es zum Osterbrot erkor.

Bei Sonnenuntergang schickte der Nikolaus seinen Gast mit der Last im Himmelbettschlittten zur Erde und der Osterhase hatte nun wie immer eine ganze Nacht Zeit, die Eier zu verstecken. Das schönste Ei mit einem goldenen Engel darauf legte er mit einem süßen Osterbrot dem Bauern Bartl in den Briefkasten. Dann hoppelte er durch die Gärten und verteilte die Eier für die Kinder.

Der Frühling kam herbei geeilt, am Ostersonntag sprossen die Krokusse wie von Zauberhand aus der Erde und in den Kronen der wilden Kirschbäume brachen tausende rosa Blüten auf.

Zwischendurch ließ eine verirrte Schneewolke ihre Flocken fallen. Blumen und Schnee im grünen Gras – das passte zu den weihnachtlich bemalten Ostereiern. „Der Osterhase hat heuer Humor“, grinsten die Leute und bereiteten ihr Osterfrühstück.

Meister Lampe hatte auch ein dankbares Herz. Nachdem er sich mit zarten Blättchen gestärkt hatte, kehrte er mit einem Dutzend weißer Eier heim in seine Grotte und werkelte fleißig. Am Ostermontag legte der Osterhase einen Korb aus geflochtenen Binsen für die hilfreichen Engel in Nikolausens Himmelbettschlitten, gefüllt mit Gelee-Eiern, Fondant-Häschen, österlich bemalten Hühnereiern, geschmückt mit Krokussen und Schneeglöckchen. Der Nikolaus bekam ein riesiges Schokoladenei voller Eierlikörpralinen, dazu einen Strauß blühender Korkenzieherhaselzweige mit Osterglocken, der mit einer himmelblauen Satinschleife gebunden war. „Der Osterhase lässt grüßen“, schrieb er auf einen Zettel und schickte den Schlitten zurück in den Weihnachtshimmel.

Seitdem gibt es ein Band der Freundschaft zwischen den heimlichen guten Geistern, die uns alljährlich erfreuen. Und wenn sie nicht gerade schlafen, besuchen sie sich – im Himmel wie auf Erden.

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